Weihnachtshasen

Herr und Frau Hase hatten es sich in ihrem Bau gemütlich gemacht. Während draußen ein eisiger Wind wehte und es einfach nicht aufhören wollte zu schneien, saßen sie bei einem Tässchen Löwenzahntee in ihren Sesseln am Kamin und besprachen schon einmal das Design für die Ostereier im nächsten Frühjahr. „Ich finde ja große rote Punkte sehr schön“, meinte Herr Hase. „Aber die sind viel zu auffällig!“, rief Frau Hase entsetzt. „Eier mit großen roten Punkten finden die Kinder doch sofort im grünen Gras. Da geht der ganze Spaß verloren. Wie wäre es mit zarten gelben Streifen?“ Doch bevor Herr Hase etwas erwidern konnte, ertönte plötzlich ein heftiges Klopfen an der Tür zum Hasenbau.

„Wer kann denn das sein?“, fragte Herr Hase, stellte seine Tasse Tee beiseite und erhob sich mühsam aus dem gemütlichen Sessel. Das Klopfen wurde lauter und dringlicher. „Ja, ja! Ich komme ja schon!“, rief Herr Hase Richtung Tür und murmelte noch ein „ein alter Hase ist doch kein D-Zug“ hinterher.

Vor dem Hasenbau stand ein Wichtel – grüner Gehrock, grüne Zipfelmütze, spitze Öhrchen und Schuhe mit kleinen Glöckchen daran. Zum Schutz vor der Kälte hatte er sich einen dicken roten Schal um den Hals gewickelt. „Komm schnell rein, der ganze Schnee weht ja in den Bau“, sagte Herr Hase und der Wichtel ließ sich nicht zweimal bitten. Bibbernd trat er in den Flur, nicht ohne vorher unter Glockengebimmel den Schnee von seinen Schühchen zu stampfen. „Brrr, was für ein Wetter! Aber nichts gegen die Temperaturen am Nordpol“, sagte der Wichtel. „Am Nordpol?“, fragte Frau Hase, die inzwischen auch neugierig in den Flur gekommen war. „Du bist doch nicht etwa einer der Weihnachtswichtel? Habt ihr denn am Tag vor Heiligabend nichts anderes zu tun, als zwei alte Hasen zu besuchen?“ „Jetzt lass ihn doch erst einmal richtig reinkommen und sich aufwärmen“, unterbrach Herr Hase seine Frau. „Er kann sicher ein Tässchen heißen Löwenzahntee vertragen.“ „Keine Zeit, keine Zeit“, sagte der Wichtel. „Am Nordpol ist die Hölle los! Ich bin hier nicht einfach auf Besuch. Der Weihnachtsmann schickt mich. Er braucht dringend eure Hilfe!“ „Um Himmels Willen! Was ist denn passiert mit dem Guten?“ „Es gab ein Unglück in der Spielzeugfabrik. Der Weihnachtsmann wollte persönliche ein neues Skateboard ausprobieren, dass sich ein Kind in Buxtehude gewünscht hat. Nun, was soll ich sagen. Er ist eben nicht mehr der Jüngste. Ich habe ihn gewarnt, aber ihr kennt ihn ja – immer mit viel Begeisterung für neumodischen Schnickschnack und alles was Räder hat. Das konnte nicht gut gehen. Er ist mit Karacho in einen großen Geschenkeberg gerast und hat sich den rechten Arm gebrochen. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass er mit gebrochenem Arm weder den Rentierschlitten vernünftig lenken, noch Kamine rauf- und runterrutschen kann. Wer soll also Morgen die ganzen Geschenke verteilen? Wir Wichtel und Elfen sind mit Einpacken und Aufladen der Geschenke auf den Schlitten beschäftigt. Und ihr wisst ja, wie viel Erfahrung es außerdem braucht, um pünktlich alle Geschenke abzuliefern! Die fehlt uns einfach.“ „Lass mich raten“, sagte Frau Hase. „An dieser Stelle kommen wir ins Spiel. Wir sollen beim Verteilen der Weihnachtsgeschenke aushelfen.“ „Nun ja – „aushelfen“ trifft es nicht ganz. Der Weihnachtsmann hatte gehofft, ihr könntet das Geschenkeverteilen ÜBERNEHMEN.“  Herr und Frau Hase sahen sich an. „Dafür würde der Weihnachtsmann auch an Ostern die Eier verstecken!“, warf der Wichtel schnell ein. „Hm, ein freies Osterfest – das wäre ja auch nicht schlecht…“, überlegte Herr Hase laut. „Wir könnten endlich einmal außerhalb der Hauptsaison ans Meer reisen. Wir haben noch nie Osterferien gehabt!“ „Aber der Schlitten!“, wandte Frau Hase ein. „Keiner von uns hat je einen Rentierschlitten gelenkt.“ „Oh, da macht euch mal keine Gedanken“, sagte der Wichtel. „Das Lenken des Schlittens würde ich übernehmen. Ihr müsstet lediglich auf die beste Route für eine schnellstmögliche Verteilung der Geschenke achten und die Geschenke durch die Kamine bringen.“ „Die Kamine – ja – das ist auch so eine Sache“, sagte Herr Hase. „“Ich kann mir ja noch einigermaßen vorstellen, wie man so einen Schornstein hinunterrutscht, aber wie kommt man denn dann bloß wieder rauf?“ „Elfenstaub!“, antwortete der Wichtel. „Ganz einfach mit der Hilfe von Elfenstaub. Auch dafür wird gesorgt.“ „Elfenstaub! Natürlich! Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Und Elfenstaub wollte ich immer schon einmal ausprobieren! Also ich würde sagen, wir sollten unserem alten Freund nicht unsere Hilfe verwehren.“ „Du hast recht“, meinte Frau Hase, die auch schon immer einmal mit Hilfe von Elfenstaub fliegen wollte. „Oh, ihr glaubt gar nicht, wie erleichtert der Weihnachtsmann sein wird!“, rief der Wichtel erfreut aus. „Ich werde euch morgen mit dem Rentierschlitten abholen. Oh – noch eine Kleinigkeit – vielleicht könntet ihr euch ein wenig … WEIHNACHTLICH herrichten? Nur für den Fall, dass ein neugieriges Kind euch beim Geschenkeverteilen erwischt. Wir wollen schließlich keine Verwirrung stiften.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Wichtel und machte sich wieder auf in den Schneesturm.

„Das war es also mit unserem beschaulichen Weihnachtsfest“, stellte Frau Hase fest. „Dafür liegen wir dann zu Ostern am Strand“, sagte Herr Hase. Dann gingen die beiden früh zu Bett, um an Heiligabend auch frisch und munter zu sein.

Am nächsten Tag traf der kleine Wichtel pünktlich mit dem Rentierschlitten vor dem Hasenbau ein. Es schneite noch immer dicke Flocken, doch der Sturm hatte sich gelegt. Noch bevor er an die Tür des Hasenbaus klopfen konnte, wurde diese mit einem lauten „Ho, ho, ho!“ aufgerissen, ganz so, als hätten Herr und Frau Hase schon die ganze Zeit hinter der Tür gewartet. Herr und Frau Hase grinsten von einem langen Ohr zum anderen. Die beiden hatten die Sache mit dem weihnachtlich herrichten sichtlich ernst genommen. Auf dem Kopf trugen sie rote Mützen mit weißen Bommeln. In die Mützen hatten sie je zwei Löcher geschnitten, aus denen ihre langen Ohren ragten. Sie hatten zudem dicke, rote Wollpullover an und ihre großen Füße hatten sie in schwere, schwarze Stiefel gezwängt. Außerdem hatten sich beide weiße Wattebärte angeklebt. Der Wichtel machte große Augen. „Großartig. Ihr seht großartig aus. Fast wie das Original“, staunte er. „Ja, nicht wahr?“, sagte Frau Hase nicht ohne Stolz in der Stimme. „Dafür sind wir heute Morgen extra früh aufgestanden“, ergänzte Herr Hase. „Nun aber nichts wie los, damit die Kinder auch rechtzeitig ihre Geschenke bekommen!“, sagte Frau Hase. Der Wichtel drückte jedem Hasen einen Sack mit Geschenken in die Hand und dann machten es sich alle drei auf dem Kutschbock des voll beladenen Rentierschlittens bequem. Der Wichtel ließ ein wenig Elfenstaub auf die Rentiere rieseln und schon schwangen sie sich auf in die Lüfte. Herr und Frau Hase waren begeistert. Sie konnten sich gar nicht daran satt sehen, wie die Welt unter ihnen immer kleiner wurde. „Sieh nur! Der Waldsee! Er ist nichts weiter als eine kleine Pfütze von hier oben!“, rief Frau Hase begeistert aus. „Und die Autos! Sie sehen aus als würden sie in unsere Geschenkesäcke passen!“, freute sich Herr Hase. Schon bald erreichten sie das erste Haus. „Brrr!“, rief der Wichtel den Rentieren zu, und der Schlitten hielt mitten in der Luft direkt über dem Kaminschlot. „Ich zuerst!“, sagte Frau Hase. Der Wichtel streute etwas Elfenstaub über ihre Weihnachtsmannmütze und mit einem großen Sprung verschwand Frau Hase im Schornstein. Wenig später kam sie rußverschmiert, mit einem großen „Hui“ und einem deutlich leereren Geschenkesack wieder aus dem Kamin hervorgeschossen. „Das macht wirklich Spaß!“, sagte Frau Hase. „Also, wenn der Weihnachtsmann einmal über Weihnachten Urlaub machen möchte, ich springe gerne jederzeit für ihn ein.“ Herr Hase konnte es nun kaum erwarten durch den ersten Kamin zu rauschen. Und so machten sie sich schnell auf den Weg zum nächsten Haus. Das Verteilen der Geschenke ging schnell voran und es kam nur zu zwei kleinen Zwischenfällen. So erwischte der neugierige Fritz aus der Müllergasse, der schon immer einmal den Weihnachtsmann sehen wollte, Frau Hase dabei, wie sie gerade ein großes rotes Päckchen unter den Weihnachtsbaum legte, als er aus seinem Versteck hinter dem Wohnzimmersessel hervorlugte. „Papa!“, rief Fritz entsetzt. „Der Weihnachtsmann ist viel kleiner als ich dachte. Und lange Ohren hat er auch!“ „Naja“, antwortete Fritz‘ Vater aus der Küche. „Wenn er sehr groß wäre, dann würde er ja auch nicht durch den Schornstein passen! Und was hast du überhaupt im Wohnzimmer zu suchen. Den Weihnachtsmann sollte man beim Geschenkeverteilen nicht stören.“ Zum Glück gab sich Fritz mit dieser Antwort zufrieden. Und als sein Vater ins Wohnzimmer kam, war Frau Hase schon längst wieder durch den Kamin verschwunden. Herr Hase fiel beinahe einer Falle zum Opfer, die die kleine Marie aus der Meisenstraße dem Weihnachtsmann stellen wollte. Die kleine Marie wollte den Weihnachtsmann mit Hilfe von Klebstoff fangen, den sie vor dem Kamin verteilt hatte. Doch glücklicherweise hatte sie keinen Alleskleber verwendet, und so kam Herr Hase mit nur leicht klebrigen Stiefeln davon.

Herr und Frau Hase schafften es tatsächlich mithilfe des Wichtels alle Weihnachtsgeschenke rechtzeitig zu verteilen. Als der Rentierschlitten am Abend vor dem Hasenbau landete, waren sie erschöpft von dem anstrengenden Tag, aber auch stolz und glücklich, alles so gut gemeistert zu haben, und vor allem waren sie noch ganz begeistert von dem Flug mit dem Rentierschlitten und dem Elfenstaub. Als Dankeschön hatte sich der Weihnachtsmann auch ein ganz besonderes Geschenk für die Osterhasen ausgedacht. Der Wichtel überreicht ihnen eine hübsch verpackte Schachtel mit Elfenstaub für ein paar Flugstunden. Herr und Frau Hase gaben den Rentieren zum Abschied ein paar Mohrrüben zu fressen, verabschiedeten sich herzlich von dem kleinen Weihnachtswichtel und ließen dem Weihnachtsmann ihre besten Grüße und eine schnelle Genesung ausrichten.

Zum nächsten Osterfest stand dann der Weihnachtsmann mit einem Korb auf dem Rücken, falschen Hasenohren und Puschelschwänzchen vor dem Hasenbau und nahm die Ostereier in Empfang. Herr und Frau Hase hatten bereits ihre gepackten Koffer in den Flur gestellt. Sie hatten sich ein wenig Elfenstaub aufgehoben, mit dessen Hilfe sie nun ihre Flugreise ans Meer antreten wollten. Wenn ihr also zur Osterzeit einen älteren Herrn mit langem weißen Bart und Hasenohren durch euren Garten schleichen seht, dann wundert euch nicht – es ist nur der Weihnachtsmann, der ein paar zartgelb gestreifte Eier versteckt.

© Michaela Groß

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