Groß & Klein – die Kindergeschichtenblog Kolumne

Darf ich vorstellen? Der Kindergeschichtenblog hat nicht nur ein neues Gewand, es gibt auch eine neue Rubrik: „Groß & Klein“ – die Elternleben Kolumne. Ab sofort erzähle ich hier immer einmal wieder nichts für Kinder, sondern etwas übers Eltern sein und Kinder haben.

Manchmal bin ich ein Ninja – Eltern und ihre ganz speziellen Fähigkeiten

Eltern sind die besseren Manager. Das ist bekannt. Notgedrungen entwickeln sie die Fähigkeit, sich um mindestens drei Dinge gleichzeitig zu kümmern. Zudem bringen sie ihre Zeiteffizienz und ihr Zeitmanagement auf ein völlig neues Niveau. Als Elternteil schaffst du in der Hälfte der Zeit das Doppelte von dem, was du früher in derselben Zeitspanne erledigt hast.

Und dann ist da natürlich die Sache mit dem Schlaf. Irgendwann siehst du ein, dass fünf Stunden Nachtschlaf mehr als genug sind. Dafür brauchst du nicht einmal eine von diesen schicken Fitness-Uhren zur Selbstoptimierung. Und irgendwann bekommst du es hin, die restlichen 19 Stunden trotzdem permanent dein Bestes zu geben. Und erreichbar bist du für alle großen und kleinen Probleme deiner jugendlichen Chefs sowieso 24/7. Alles ein alter Hut. Geschenkt.

ABER: Kaum jemand redet über die Spezialfähigkeiten, die man als Eltern entwickelt und die meiner Meinung nach von den Arbeitgeber*innen dieser Welt nicht genug gewürdigt werden.

Die Spezialfähigkeiten sind im Vergleich zu den Managerfähigkeiten in ihrer Ausprägung deutlich mehr von Temperament und Charakter des Kindes bzw. der Kinder abhängig. Und sie könnten Eltern ganz neue berufliche Perspektiven eröffnen.

Ich habe ja beispielsweise Ninjafertigkeiten entwickelt, seit das kleine Kind auf der Welt ist. In wenigen Monaten habe ich Techniken perfektioniert, für die manch ein Ninja-Meister Jahrzehnte trainieren musste. Das kleine Kind ist ein sehr schlechter Schläfer. Und seit es auf der Welt ist, schläft es nur dicht an mich gekuschelt ein. Der Papa, ein Kuscheltier, eine Wärmflasche – nichts kann mich bisher ersetzen. Auf der einen Seite fühle ich mich geschmeichelt, auf der anderen Seite wird es ab dem Punkt dann doch manchmal anstrengend, an dem ich wieder und wieder feststellen muss, dass das Kind nicht nur schwer einschläft, sondern auch einen extrem leichten Schlaf hat. Einfach aufstehen, aus dem Zimmer gehen und den Rest des Abends genießen ist nicht drin. Sobald ich mich einen Zentimeter aus unserer Kuschelposition entferne, geht die Sirene los. Und so kam es zur Perfektionierung meiner Ninjafähigkeiten. Sobald ich das erste selige Schnorcheln höre, ziehe ich zunächst vorsichtig den Bauch ein und löse so Millimeter für Millimeter den Körperkontakt. Anschließend rolle ich blitzschnell, aber vollkommen lautlos zur Seite. Nun heißt es in vollkommener Dunkelheit (man ahnt es: das kleine Kind schläft nur in stockfinsterer Umgebung) ohne das kleinste Geräusch den Ausgang zu erreichen. Mit einem einzigen Satz auf die Matratze, die vor dem Bett liegt, schaffe ich das. Da die Türklinke quietscht, schleiche ich zur Balkontür und nutze diese als Ausgang. Danach seile ich mich vom Balkongeländer in den ersten Stock ab, um anschließend… Okay, ich gebe es zu, der letzte Teil ist übertrieben. Natürlich benutze ich die Schlafzimmertür als Ausgang, denn ich weiß genau, in welchem Tempo ich die Klinke runterdrücken muss – nicht zu langsam, nicht zu schnell – damit sie nicht quietscht. Wahr ist auch, dass der Mann und das große Kind mir den Spitznamen „der Schatten“ verpasst haben. Allerdings weiß ich nicht, ob sie den tatsächlich auf meine Ninjafertigkeiten oder auf die Ränder unter meinen Augen beziehen…

Mit meinen Ninjafertigkeiten ist es übrigens nicht getan. Ich kann mit weiteren Spezialfähigkeiten aufwarten. Ich kann zum Beispiel heimlich Dinge verschwinden lassen, ohne dass es jemand bemerkt. Die Entwicklung dieser Fertigkeit begann mit unserem letzten Umzug und ist dem ausgeprägten Sammeltrieb des großen Kindes geschuldet. Irgendwie hatte ich wenig Lust, eine Sammlung von etwa 500 vollkommen identisch aussehenden Kieselsteinen und 300 gammeligen Stöcken von Berlin nach Bayern umzuziehen. Da ich ja eigentlich nicht viel davon halte (hielt) Dinge hinter dem Rücken meiner Kinder zu machen und gewöhnlich auf Offenheit und Transparenz setze und keine Konflikte scheue (hüstel…), versuchte ich zunächst, dem Kind zu erklären und mit ihm auszudiskutieren, warum ich das Aussortieren seiner Stöcke und Steine für notwendig halte. „Die sehen gar nicht alle gleich aus. Ich will alle mitnehmen!“ Für das große Kind war dummerweise mit diesen Worten die Diskussion nach etwa einer halben Minute beendet. Der Umzug rückte näher. Die Stock- und Steinsammlung lag wie ein besonders schweres Mahnmal im Kinderzimmer. Irgendwann überkam es mich. Ich ließ ein paar der Stöcke und Steine verschwinden. Das Kind bemerkte es nicht. Also nahm ich am folgenden Tag noch ein paar Stöcke und Steine weg. Das Kind bemerkte es nicht. Am nächsten Tag das gleiche Spiel. Es wurde wie eine Sucht, eine Sucht nach Ordnung, Struktur und Leichtigkeit. Der Stöcke- und Steinberg war irgendwann auf ein Minimum geschrumpft und ich dachte, es kann doch gar nicht sein, dass das Kind diese ganz individuell aussehenden, einmaligen Stöcke und Steine nicht vermisst. Tatsache ist: es hat bis heute nicht danach gefragt. Was soll ich sagen: Was mit Stöcken und Steinen begann, weitete sich aus auf Sammelkarten, Ü-Ei-Figuren und zerlesene Zeitschriften. Und nie, wirklich nie wurde das Fehlen von auch nur einer Sache bemerkt. Ich bin quasi der David Copperfield des Ausmistens.

Eine weitere großartige Spezialfähigkeit ist meine ausgefeilte Verhörtechnik. Da beim großen Kind auf eine Frage wie „Und? Wie war die Schule?“ in der Regel höchstens ein halbherzigen „Gut.“ folgt und selbst offen gestellte Fragen nicht mehr bewirken, musste ich mir etwas Besseres einfallen lassen. Inzwischen bekomme ich Dinge aus dem großen Kind heraus, von denen es selbst nicht wusste, dass es sie weiß. Und das nur durch meine ganz spezielle, unschuldig anmutende Fragetechnik und das Abpassen des perfekten Moments. Keine Bestechung, keine Überredungskunst, erst recht keine Erpressung oder Daumenschrauben (also kein Grund das Jugendamt zu rufen…). Ich sage nur: Tee – und manchmal Kekse. Ich bin sicher, gerade wenn das große Kind in die Pubertät kommt, wird uns diese Fertigkeit noch einmal den Seelenfrieden retten, auch wenn ich den Tee dann eventuell durch andere Getränke ersetzen muss.

Also liebe Arbeitgeber*innen: unterschätzt uns Eltern nicht! Wir sind ein bisschen wie Superhelden, nur weniger ausgeschlafen. Und wir können nach einem fiesen Vorstellungsgespräch Euren Lieblingsbriefbeschwerer verschwinden lassen, ohne dass Ihr es bemerkt oder von Euren Assistent*innen eure düstersten Geheimnisse ganz nebenbei in Erfahrung bringen…